Variante ‚Genugtuung‘, alternativer Verlauf

Alternativer Verlauf, in Bruchstücken:
Geol trifft in 3017 auf Aenwulf, reist mit ihm nach Rohan zurück, ehe er Lorron begegnet. Gibt ihn bei Creodric ab, erfährt zu seinem Erstaunen, daß Lorron am Leben ist, macht sich auf den Weg nach Cliving und möchte zudem Jestim Dal ausfindig machen. Steigt in Tjarns Taverne ab, trifft Trevvis, hört von Stimmung in Cliving und im Land und beschließt, nicht offen zurückzukehren, da er so freier im Handeln ist. Trifft Dal. Beschließt, den Gegnern nicht den Gefallen zu tun, sich gegenseitig selbst zu erledigen, da sie offenbar alle Opfer im Plan der anderen sind. Bittet sich Jestim und Tjoren von Rula aus, der selbst bleiben muß, um den Schein zu wahren. Darras läßt sich nicht zurückhalten, als er Wind davon bekommt, daß Geol’s erster Plan vorsieht, jene Gruppe Dunländer zu finden, zu befragen wenn möglich, aber im Großen und Ganzen unschädlich zu machen. Sie reiten zu Creodric zurück, denn ‚jenes Problem‘ möchte Geol zuvor geklärt haben. Er hofft und hat es Rulavan so gesagt, daß sie vielleicht einen der Hintermänner in die Hände bekommen, dessen Aussage verwenden und Jestim im Hintergrund lassen können. Aber das wird auch von Aenwulf abhängen. Zu seinem großen Erstaunen möchte Aenwulf mit auf den Rachefeldzug gegen die, die das Dorf auslöschten… und der Stallbursche Hamnath auch… Creodric lässt sie nicht gern gehen. Und Jestims wegen gibt es auch hitzige Diskussionen, die schließlich Hamnath schlichtet. Während sie noch diskutieren trifft Lorron ein. Er ist Ilamar und Almere begegnet und hat sich baldmöglichst auf den Weg gemacht. Creodric glücklich, dass Tochter in Sicherheit. Lorron ungeduldig, ins Dunland zu kommen. Reiten über Holzmühle, da sie dort Informationen über das Gebiet des Drachenclans zu finden hoffen. Inzwischen Herbst 3017
Darras sieht in Holzmühle Schild eines Drechslers und möchte sein Werkzeug reparieren/neues erwerben/Dinge sehen. Kommt gar nicht wieder, so daß Geol beunruhigt nachsehen geht. Findet ihn begeistert und hochzufrieden inmitten von Schalen, Löffeln, Kinderspielzeug. Der Drechsler dunländischer Abstammung spricht passables Rohirrisch und unterhält sich mit ihm gerade über die Vorzüge einer bestimmten Holzart. Zuerst nimmt keiner von beiden Geol wahr. Als Darras ihn sieht, erzählt er mit leuchtenden Augen, daß hier jemand ist, der ein ähnliches Talent hat, wie seine Familie. Aber wieviel schönere Dinge er herstellt! Und hat Geol schon dies gesehen? Oder das? Er drückt ihm ein kleines Holzpferd mit rohirrischer Decke und Ausrüstung in die Hand. Keiner der beiden achtet auf den Drechsler, der bei Geols Anblick zusammengezuckt ist und ihn nun nachdenklich beobachtet. Geol hat eben noch gelächelt über Darras Begeisterung und die Dinge gelobt. Nun stutzt er und betrachtet schweigend die kleine Figur, dreht sie zwischen den Fingern und kämpft mit seinen Emotionen. „Geol?“ Darras sieht ihn fragend an. Geol antwortet nicht. Vorsichtig setzt er das Pferd ab, streicht ihm sanft mit dem Finger über die Ausrüstung und schluckt. „Wir sind im Gasthaus über Nacht. Komm nach, wann immer du magst, Darras“, sagt er sehr leise. „Was ist denn?“ fragt Darras stirnrunzelnd zurück. Unerwarteterweise bekommt er seine Antwort von Meister Arynd. „Das Pferdchen hat deinen Captain an jemanden erinnert, Junge. Ja, ich achte sehr auf Einzelheiten, wenn ich meine Figuren gestalte, und so, wie die Riemen hier verschnallt sind, kann man schnell an Seil oder Axt herankommen, wenn es auch eine ungewöhnliche Methode ist, die ich nur von Aswig kenne.“ Geol’s Kopf fuhr herum und er starrte den Mann an. „Er lebte, als ich ihn vor Monaten zuletzt sah“, sagte Arynd ruhig. „Er hatte so sehr gehofft, ihr kämt, um ihn zu befreien. Ich wies ihn darauf hin, daß man ihn wohl für tot hielt, aber er schüttelte nur den Kopf. ‚Ihr glaubt doch nicht, daß das Lorron oder Geol davon abhalten würde, uns zu rächen? Wenn sie leben, werden sie kommen‘, sagte er. Es war einer der vielen Gründe, weswegen ich meine Leute verließ. Ich wollte nicht dort sein, wenn ihr kamt. Ich wollte nicht gegen euch zu stehen gezwungen sein, denn solange ich Mitglied meines Clans war, galt meine Loyalität unbedingt ihnen. Und nun seid ihr unterwegs. Deshalb seid ihr doch hier, oder? Ihr erhofft euch, jemanden zu finden, der weiß, wo die Drachen lagern, die eure Männer getötet haben. Nun, ich bin jetzt nicht mehr einer von ihnen. Ich war es im Herzen lange schon nicht mehr, seit sie jeglichen ehrbaren Weg verlassen hatten. Setzt euch, Captain. Ich habe euch Einiges zu berichten.“

Geol sah ihn lange an, als er seine Geschichte beendet hatte. Als er schließlich aufstand schüttelte er noch immer fassungslos den Kopf. „Ich hätte alles erwartet, aber nicht das. Ich danke euch.“ Arynd erhob sich mühsam und griff nach dem Pferdchen, das er Geol in die Hand drückte. „Dies habe ich ihm versprochen. Ich liebe den Jungen, Captain. Bringt ihn heile nach Hause zu seiner Familie.“
Er sah ihnen durchs Fenster nach, als sie gingen. Geol hatte ihn nicht erkannt und er hatte es nicht über sich gebracht, ihn an damals zu erinnern.

Aswig und Haram in Sicherheit zu bringen, so sie noch lebten, war das Dringlichste.

Aswig war dabei gewesen, mit zwei Dunländern Heu in einer Scheune zu verstauen. Er hustete auf dem dunklen, staubigen Dachboden des Verschlages und wandte sich der Luke zu, um von unten die nächste Ladung entgegenzunehmen. Stattdessen streckte ihm Lorron die Arme entgegen. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, nach der Leiter zu suchen, die die Dunländer sicherheitshalber von Aswig entfernt hatten.
„Komm.“
Aswig stutzte und konnte erst kaum fassen, was er sah. Er lächelte. Dann jedoch horchte er auf. Gab es Alarm? „Aber Haram…!“ rief er hinab. „Geol ist bei ihm auf der anderen Seite, keine Sorge.“
Aswig ließ sich auffangen. Erst jetzt sah er die beiden Dunländer, die seinen Rettern zum Opfer gefallen waren, und erst jetzt wurde ihm so richtig klar, was gerade geschah. Er lachte auf, während ihm gleichzeitig Tränen in den Augen standen. „Lorron… endlich… endlich… ich wußte, ihr kommt her!“ „Das Dorf ist noch nicht in unserer Hand“, sagte Lorron leise. „Wir müssen gehen.“ Er ließ ihn los und wies auf den Eingang, den Tjoren sicherte. Unterwegs trafen sie auf Aenwulf und Hamnath die den Rückweg freigehalten hatten, und zusammen machten sie sich zu ihrem Versteck auf.

Haram war gerade dabei eine große Fuhre Mist aus dem Stall zu schaffen, als er ein seltsames, ersticktes Geräusch hörte, das ihn sich umsehen ließ. Statt seiner Wache stand Geol hinter ihm und drehte die Mistgabel, die der gestürzte Mann noch immer in Händen hielt, beiseite. Er umfasste Harams Unterarme zur Begrüßung. „Mann, habe ich dich vermisst… aber wir müssen später reden. Folge mir.“ Haram schüttelte den Kopf und sah erschreckt zur Tür hinaus. „Aswig ist inzwischen wahrscheinlich schon in Sicherheit, Lorron hat sich darum gekümmert.“ Haram atmete auf. Er sah inzwischen, daß auch seine zweite Wache am Boden lag und nickte mit einem zufriedenen Schnaufen. Doch er folgte Geol nicht, als dieser zur Tür ging. Geol blickte ihn fragend an. „Der Anführer kommt gleich her,“ erklärte Haram knapp und zog die Leichen dann so, daß man sie von der Tür aus nicht sehen konnte, nahm dem einen den Umhang ab und streckte ihn Geol entgegen. „Ich möchte ihn gern empfangen.“ Geol zog die Augenbrauen hoch, warf sich aber den Umhang über, gab Jestim ein Zeichen und hielt Haram eine Waffe hin. Der schüttelte den Kopf. „Brauch ich für den nicht.“ „Ich will ihn lebend, Haram. Vorerst. Ich will wissen, was er weiß.“ Haram knurrte, aber er nickte. Dann lächelte er. „Du hältst dich gut auf den Beinen, sag bloß, das ist wieder in Ordnung gekommen?“ „Es geht wieder ganz leidlich. In Ordnung ist was anderes.“
„Und wer ist jetzt unser Captain, Captain?“ fragte Haram ohne ihn anzusehen. Er grinste dabei von einem Ohr zum anderen. Geol wurde in diesem Augenblick klar, wie wenig Haram und Aswig über das wußten, was geschehen war, da sie ja ganz am Anfang gefangen genommen wurden. „Rulavan“, sagte er wahrheitsgemäß. Haram verschluckte sich und starrte ihn an. „Wie um alles in der Welt hast du ihn dazu gekriegt? Das glaube ich dir nicht. Gut, solange du mit einer kleineren Gruppe hier bist… aber komm, hör zu, das kann nicht dein Ernst sein. Er würde sich nie anmaßen, dir einen Befehl zu erteilen. Höchstwahrscheinlich würde er rot anlaufen, wenn er es müßte.“ „Höchstwahrscheinlich“, gab Geol ihm Recht, der auch nicht wußte, wie die Zukunft für sie aussehen würde. „Er mußte es aber noch nicht. Ich bin aus der Truppe ausgeschieden, schon vergessen? Und dann habe ich Rohan für eine Weile verlassen, Haram. Lorron kehrte zunächst nicht zurück und ich hielt ihn für tot. Als er zurückkehrte… kümmerte er sich um… das, was von uns noch übrig war… und übernahm die Ausbildung der jungen Rekruten, wie Darras, oder Jortwig.“ „Jortwig? Der kleine Jortwig? Der junge Hund? – Verzeih mir den Ausdruck, aber der Junge ist doch die Harmlosigkeit in Person, so etwas von einem naiven, großäugigen … der ist doch nicht in der Lage, irgendwen oder irgendetwas zu töten?“ „Orks schon, sagt Rulavan. Aber er weiß auch noch nicht, dass Lorron und ich zurück sind. Das wissen Rulavan, und Bynstan und Trevvis. Und sonst niemand in Cliving. Und deshalb muß Rulavan weiter als Captain durchhalten.“ „Wieso? War Lorron auch weg? Ach, ich ahne es, er ist dir nach… gilt er jetzt als Deserteur?“ „Nein. Hat Bynstan vorher um Entlassung gebeten. Hatte offenbar kaum eine andere Wahl.“
„Es passt dir nicht.“
„Überhaupt nicht.“
Haram nickte nachdenklich. Er war ernst geworden. „Geol… wer ist von uns überhaupt noch da? Außer Rulavan und Trevvis?“
Geol sah zu Boden und knetete den Zipfel des Umhangs zwischen zwei Fingern.
„Niemand sonst?“ fragte Haram leise, fast tonlos.
„Tjoren.“ Aber der war noch nicht lange bei ihnen gewesen. Er selbst kannte ihn kaum. „Ich erzähle dir später mehr.“ Seine Stimme war immer leiser geworden, denn nun hörte man Schritte sich nähern.
Haram ballte die Fäuste.
Als Korhal den Stall betrat, stand der Rohirrim bereit, eine Fuhre hinauszubringen, während einer der Männer zur Mistgabel griff um sich ihm anzuschließen. Korhal wunderte sich daher etwas, daß jemand hinter ihm die Tür schloß. Er wollte schon etwas sagen, doch da fuhr der blonde Krieger bereits auf ihn los.
Er hatte keine Chance.
„Gut, dass wir die Karre hier haben“, meinte Geol nur. „Kipp aus, füll ihn ein, pack wieder was drauf und dann lass uns von hier verschwinden ehe sie begreifen, was geschehen ist. – Und du, Jestim, ziehst dir auch etwas über deinen Blondschopf.“
Wie bei der anderen Gruppe auch hatte jemand den Rückweg im Auge behalten. Darras lotste sie durch. Als sie sicher waren konnte er seine Neugier nicht mehr zügeln. „Warum schleppen wir den Dreck da mit?“
„Weil’s das Schwein ist, das den Angriff auf deinen Bruder befohlen hat,“ kam Haram Geol zuvor.
Darras zischte etwas und seine Augen verengten sich.
Geol warf Haram einen verwarnenden Blick zu. „Musste das sein, daß du ihn anstachelst?“
Haram zuckte mit den Schultern. „Wieso? Er wird das Camp doch soundso nicht mehr lebend verlassen wenn du mit ihm fertig bist.“
„Das ist noch nicht sicher. Vielleicht können wir ihn noch gut gebrauchen. Es wäre mir Recht, wenn er selbst noch eine Chance für sich sehen würde. Wieso sonst sollte er mit uns reden? Ein Blick in Darras‘ Gesicht und er weiß: mit der Chance wird es nichts.“ Haram lachte böse. „Er weiß, daß er ein toter Mann ist. Ich bin frei. Und ich werde ihn weder Darras noch dir überlassen.“
Geol seufzte. „Weißt du, wer ihn damals angeheuert hat?“
Haram mußte zugeben, daß er das nicht wußte. Es kamen Gesandte, aber sie sprachen nur von ‚ihm‘. Er wußte nicht, wer ‚er‘ war.
Sie erfuhren es auch von Korhal nicht. Er hatte mehr Angst vor ‚ihm‘ als vor allem, was sie sich für ihn ausdenken mochten. Aber etwas erfuhren sie doch, und es entsetzte sie zutiefst, denn solche Kaltblütigkeit hatten sie nicht erwartet. „Nimm dir deinen sauberen Greven vor“, hatte sich Korhal an Lorron gewandt. „Der wollte sich die Hände nicht schmutzig machen, und der war es doch, der euch beide los sein wollte, was gingt ihr mich an?! Der Kerl hat im Sicheren gesessen, und ich… was weiß ich, was er ‚ihm‘ versprochen hat, wobei ihr im Weg wart! Ich weiß es nicht! Aber das würde ich zu gern noch erleben, Berserker, wie du ihn und seine Wachen in seiner feinen Burg niedermetzelst! Seinen großartigen Thorulf, der nichts besseres zu tun hatte, als sich hier wichtig zu machen, als du wieder zu Hause aufgetaucht bist, anstatt daß er das Problem selbst erledigt. Der Feigling! Der traut sich genausowenig an dich heran… wäre es denn so schwer für ihn gewesen, daß dir ein Unfall passiert? Aber nicht doch, nicht in seinem sauberen Umfeld! Wagt der Kerl es, stattdessen mir zu drohen! Wo ich doch wenigstens Erfolge vorzuweisen hatte, haben euch ja bestens dezimiert.“
An dieser Stelle war es Geol nur mühsam gelungen, Haram und Darras daran zu hindern, Korhals Leben zu beenden. „Wir brauchen ihn noch!“ zischte er. „Niemand hat Lorron geglaubt, nicht, wenn Thorulf und Athelward etwas anderes sagen. Wir brauchen ihn, damit er mit dem Finger auf sie zeigen kann. Am besten, wenn alle es sehen und sie es am wenigsten erwarten. Er hat nur ausgeführt, was Athelward wollte. Wir wollen den Greven, Haram. Unseren Greven, nicht diesen Handlanger da! – Wirst du das tun, Korhal? Ich glaube nicht, das sage ich ehrlich, daß ich dich noch schützen kann, wenn dein Leben für Haram keinen Wert mehr hat. Aber du wirst bekommen, was du dir soeben gewünscht hast. Du wirst Athelward stürzen sehen.“
Korhal nickte. Zwar schüttelte Haram fassungslos den Kopf, daß er Korhals Gegenwart länger ertragen sollte, aber Darras‘ Worte überzeugten ihn. „Beide? Thorulf und Athelward? Dann ist es klar, warum alle unsere Bemühungen fast zwei Jahre lang ins Leere gelaufen sind. – Oh nein… Ranulf…“ Er biß sich auf die Lippen und blickte verzweifelt auf Korhal. „Thorulf steckt wirklich so tief mit darin?“ „Thorulf kam zu uns. Du glaubst doch nicht, euer sauberer Greve wäre dieses Risiko eingegangen. Das überlässt er anderen und wagt es auch noch, sie als Freunde zu bezeichnen. Hätte ihn wahrscheinlich wenig gekratzt, wenn sein Thorulf den Besuch bei uns nicht überlebt hätte.“
Darras schnaufte. Dann ging er neben Korhal in Position. Wenn der Mann schon am Leben blieb, dann würde er ihn nicht aus den Augen lassen. Und wenn er schlief würde Haram übernehmen, soviel war klar. Tjoren hatte bisher schweigend zugehört. „Man wird uns wieder nicht glauben,“ sagte er, als sich der Rest der Gruppe ausser Hörweite des Gefangenen befand. „Ihr wart nicht da, du nicht, Lorron, und dein Vater auch nicht. Sie verdrehen alles. Besonders, wenn ich dabei war. Sie werden sagen, wir haben ihn gezwungen, so etwas zu behaupten. Alles wäre nur erlogen.“
Geol seufzte. „Gut möglich“, sagte er. „Ich hoffe auf die Überraschung. Ich hoffe darauf, daß einer einen Fehler macht. Das Letzte, was sie erwarten, ist, daß Korhal dort auftaucht. Zum Erntefest auf der Tanzfläche oder dergleichen. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, daß irgendjemand so abgebrüht wäre, da keinen Fehler zu machen. Ich kann nur überhaupt nicht verstehen, was diese Männer antreibt. – Lassen wir das erstmal. Im Dorf wird es bald Alarm geben oder schon gegeben haben. Wir müssen zügig handeln.“
Aswig und Hamnath hatten bei der Befragung nicht zugegen sein wollen. Aswig wußte inzwischen, wen sie alles verloren hatten und Hamnath hatte ihm danach beigestanden. Die anfänglich überschwängliche Freude des Fährtenlesers war doch arg getrübt. Nun war er endlich frei zurückzukehren, aber er würde so viele nie wiedersehen auf die er sich schon gefreut hatte. Und er war sich immer noch nicht sicher, ob etwas anders gewesen wäre, wenn er aufmerksamer gewesen wäre. Mit rotgeweinten Augen sah er zu Haram auf, der sich daraufhin zu ihm kniete. „Ich weiß. Aber wird es trotzdem gehen? Kannst du mit uns reiten?“
Aswig schauderte. „Sie werden nicht aufhören, nicht wahr? Sie werden andere überfallen für Tibut oder sie werden unter einem neuen Anführer mit den Orks ziehen. Arynd hat nicht geglaubt, etwas ändern zu können. Er ist gegangen. Ich fürchte, es bleibt nichts anderes. Aber mir tut es um die Kinder leid.“
Lorron setzte sich an seine andere Seite. „Wir werden Kinder und Frauen verschonen, Aswig. Sogar die Krieger, wenn sie sich ergeben und ihre Waffen abgeben. Geol will ihnen die Wahl lassen.“
„Wirklich?“
„Wirklich. Rache bringt unsere Freunde nicht zurück und wir wissen auch, daß die Kinder ihre Väter brauchen können. Ohne Waffen wird es schwer genug für sie.“
„Wahrscheinlich werden sie nicht darauf eingehen können. Stell dich darauf ein.“
Lorron seufzte. „Ja.“
Aswig fuhr sich fahrig mit der Hand über die Augen. „Na gut. Aber bitte, teil mich nicht zum Wachposten ein. Nicht heute.“ Lorron legte ihm den Arm um die Schultern. „Es lag nicht an dir. Es waren einfach zu viele. Dein Alarm hätte nichts geändert, so wie ich das sehe. Mein erster Gedanke war: ‚Scheiße, wir haben ihn da allein gelassen!‘ Ich hätte je zwei Mann aufstellen müssen. Aber ich fürchte, auch das hätte nichts geändert. Bitte, nimm dir das nicht zu Herzen.“
Aswig atmete tief durch. „Ich glaube, Geol möchte los.“

Nun, da einige schon besiegt waren, darunter Korhal, hatten die übrigen Angst. Es war ein guter Zeitpunkt. Geol richtete sich offen an sie und Aswig übersetzte. „Ihr seid uns mit Heimtücke begegnet, habt unsere Männer getötet und unsere Pferde gestohlen. Das kennen wir nicht anders. Aber nun habt ihr euch auch noch mit dreckigen Orks verbündet! Das können wir nicht dulden. Jedoch sind wir nicht wie ihr. Wir werden unseren Kampf nicht weiter heimlich führen. Wir werden euren Männern Zeit geben, sich zu bewaffnen, oder euren Weisen, sich zu beraten. Entweder, ihr tretet zum offenen Kampf gegen uns an, oder ihr ergebt euch uns. Ich stehe hier und warte auf eure Antwort.“
Sie waren nur neun Mann. Aber sie hatten Pferde, Waffen und eine Menge Entschlossenheit. Sie hatten Lorron.
Ohne ihren Anführer war diese Entscheidung keine leichte Aufgabe für das Dorf. Ein großer Mann riß das Wort an sich und um ihn bildete sich eine Traube. Um einen anderen, älteren, scharten sich auch Männer. Geol wartete ab. Tjoren und Jestim und Aswig waren angespannt, denn sie hatten für Geols Sicherheit zu sorgen. Und tatsächlich fand sich einer, der meinte, den feindlichen Anführer aus dem Versteck heraus erschießen zu können. Tjorens Pfeile streckten ihn nieder, aber danach dauerte es nicht lange, bis die Dörfler auf sie zustürmten, während einige Frauen ihre Kinder in Sicherheit brachten.

„Nicht!“ Der alte Mann hatte längst seine Waffe fortgeworfen, nun stand er schützend zwischen den jüngeren Kriegern und dem Berserker. Der jedoch nahm nichts anderes mehr wahr als weitere Feinde vor sich.
Noch jemand, der durchaus noch ein Schwert hielt… „Lorron! Stop!“ Geol’s kleinere, leichte Klinge war kaum imstande, Lorron’s Zweihänder ernsthaft aufzuhalten. Seine Stimme mußte tun, was seine Waffe und Kraft nicht vermochten. „Junge, hör auf! Es ist vorüber.“ Er blickte ihm in die Augen, hörte sein Schwert auf dem Boden aufkommen und sah, wie sich die schartige, breite Klinge von Lorron’s riesenhafter Waffe gegen ihn richtete, den Blickkontakt unterbrechend. Dennoch wich er nicht zurück sondern legte seine Hände auf Lorron’s Arme. Die Waffe verharrte nur Zentimeter vor ihm. „Es ist vorbei, Lorron“, wiederholte Geol. Da endlich schien das unheimliche Feuer zu weichen, das in Lorron’s Augen brannte. Er blinzelte, starrte schwer atmend auf das Schwert, auf Geol, und sah sich verwundert um, als habe er geträumt und wäre erst jetzt erwacht und nähme seine Umwelt nun erst wirklich wahr. Der alte Mann stand noch immer vor den Jungen. Viele der Drachenkrieger lagen erschlagen in der Nähe. Seine Männer warteten ab. Geol atmete auf und klopfte ihm auf die Schulter. „Der Rest hat sich ergeben.“ Dann wandte sich sein Vater den Dunländern zu, bückte sich beiläufig zu dem Schwert und hob es auf und sagte mit lauter, strenger Stimme: „So ergeht es denen, die uns angreifen. So wird es jedem ergehen, der meint, es noch einmal versuchen zu wollen. Haltet euch fern von Rohan. Haltet euch fern von den Orks! Gibt es hier noch irgendjemanden, der bezweifelt, dass eurer der falsche Weg war?!“ Der alte Mann sah sich um, dann schüttelte er den Kopf. „Wir haben gesehen, das eine unerklärliche Kraft auf eurer Seite stand. Wieso wurde sie euch verliehen, nicht uns, wenn nicht ihr im Recht wart? Wir haben den Zorn unserer Götter auf uns gezogen. Wir haben dafür bezahlt.“ Er klang müde. Es waren nur wenige Männer im waffenfähigen Alter übrig. Frauen, Jugendliche, Kinder, alte Leute.
„Wir führen keinen Krieg gegen Frauen und Kinder“, sagte Geol.
Haram sah starr geradeaus. ‚Aber eine Frau hat Krieg gegen uns geführt‘, dachte er. ‚Wo sie wohl jetzt ist? Ist es gut, daß sie heute nicht mehr hier war? Korhal’s Sturz hätte ihr gefallen, aber das andere? Die Waffen abgeben und schutzlos den anderen Gruppen gegenüberstehen? Sich verstecken, woanders neu um eine Position kämpfen? Niemals… ich fürchte, sie hätte gekämpft. Bin ich froh, daß sie schon fort ist.‘
Geol seufzte leise und traf eine Entscheidung, die seine Leute erstaunte. „Behaltet eure Waffen. Ihr werdet sie brauchen, wenn ihr nicht euren eigenen Leuten zum Opfer fallen wollt.“ Auch er klang müde. Es hatte ihm zwar neue Informationen eingetragen herzukommen, aber den, dem sogar Athelward zu dienen schien, kannte er immer noch nicht. „Wir werden euch jetzt verlassen. Folgt uns nicht.“ Seine Männer nahmen dies als Befehl und machten sich zum Aufbruch bereit. Sie waren schon aufgesessen, als einer der jungen Dunländer, ein Kind noch, an sie herantrat, jedoch in gebührendem Abstand verharrte, als er alle Blicke auf sich gerichtet sah. „Ich möchte mit euch gehen. Ihr habt gesiegt, und hier ist nichts für mich.“
Seine Leute sahen ihn zwar verblüfft an, aber es sagte niemand etwas dagegen. Geol wollte eigentlich lieber den Kopf schütteln, doch dann fing er Hamnaths Blick auf. „Was willst du bei den Rohirrim, Junge? Wenn du ein Krieger werden möchtest, und wirst einer von uns, dann stehst du vielleicht eines Tages gegen deine eigenen Leute.“ „Es muß zwar jeder Mann kämpfen können, aber es muß doch nicht jeder ein Krieger sein“, gab der Junge zur Antwort. Geol nickte. „Jestim“, sagte er also. „Du bist leicht, dein Pferd trägt zwei Mann. Gib mir auf den Jungen Acht. Möglich, daß er ganz andere Ideen bekommt, wenn er merkt, daß sein Anführer noch lebt.“

Es stellte sich schnell heraus, daß ihre Sorge ganz anderer Natur sein würde. Als er Korhal sah, begann der Junge, ihn verächtlich zu beschimpfen. Er fragte entrüstet, warum sie ihn nach ihrem Sieg nicht getötet hätten? Der Mann habe es zwar verdient, die Schande länger zu ertragen, aber eine endgültige Lösung wäre doch für diese Schlange sicher die bessere gewesen? Sie erklärten ihm, weshalb. Es waren Erklärungen, die fremd für ihn klangen. Argwöhnisch betrachtete er den gestürzten Anführer, dann Haram. „Es wäre dein Recht gewesen“, sagte er. „Es wird mein Recht sein, aber noch nicht“, sagte Haram. „Werdet ihr dann erneut kämpfen? Oder töten Rohirrim einen gefesselten Mann?“ „Wir werden erneut kämpfen“, sagte Haram.

Später erklärten sie dem Jungen auch, wieso es keine gute Idee wäre, ihn mit sich in ihre Stadt zu nehmen, und erzählten ihm von Holzmühle. Dorthin würden sie ohnehin als nächstes reiten, denn Aswig war nicht bereit, nach Hause zurückzukehren, ohne zuvor mit Arynd gesprochen zu haben. Und Aenwulf und Hamnath wollten natürlich zu Creodric zurückkehren.

„Lorron?“ Geol nutzte die Tatsache, daß die anderen schon schliefen als er seinen Sohn auf Wache ablöste, um ihn auf etwas anzusprechen, das ihm keine Ruhe ließ.
„Hm?“ Lorron war zuletzt sehr einsilbig gewesen.
„Ich… dachte er sagt es nur so dahin… Korhal, als er dich Berserker nannte.“
Lorron wurde rot, was in der Dunkelheit aber kaum auffiel. Er sagte nichts.
Geol schnaufte. „Ich konnte nicht glauben, daß du mich verletzen würdest… aber… so etwas habe ich noch nie erlebt… du hast mich zuerst gar nicht erkannt… ich bin mir nicht sicher, ob ich dazwischen gegangen wäre, wenn ich das vorher gewußt hätte…“
Lorron sagte noch immer nichts, aber er begann zu zittern.
„Junge?“
„Am besten, es ist kein Freund zufällig in der Nähe, wenn das passiert…“ flüsterte Lorron und seine Stimme klang heiser. „Ich kann es nicht kontrollieren. Ich weiß nicht, wann es kommt. Es passiert nicht bei jedem Kampf. Ich weiß nicht, wie es wieder vergeht. Wenn kein Feind mehr da ist, dachte ich… ich… hinterher weiß ich fast nichts mehr von währenddessen… es ist alles verschwommen…“
„Es hat Rulavan, Tjoren und Trevvis das Leben gerettet.“
„Und es hätte deins kosten können!“ fuhr er auf. „Ich habe dich nicht erkannt!“
„Doch, hast du.“
„Aber erst so spät“, sagte er schaudernd. „Ich werde manchmal wach weil ich träume ich öffne die Augen, danach, und du liegst bei den Gegnern am Boden. Ich bin dann nicht ich. Es macht mir Angst.“
Geol wußte nichts zu entgegnen. Er nahm ihn in den Arm.
„Wenn nicht du sondern Hamnath dort gestanden hätte, hätte ich ihn auch erkannt? Jemanden, der nicht Familie ist?“ mumelte Lorron. „Vater, ich habe Angst davor.“ Geol seufzte, schob ihn ein Stück zurück und blickte ihm in die Augen. „Ich glaube, das brauchst du nicht. Du konntest es abschütteln. Und wenn deine Männer wissen, was passieren könnte, werden sie dir aus dem Weg gehen und dir den Rücken freihalten falls es passiert.“
„Sagst du so einfach.“
„Was soll ich denn sagen? Ich weiß es doch auch nicht besser. Wir werden Zarina fragen. Und andere. Vielleicht finden wir jemanden, der so etwas kennt. Der weiß, ob und wie man es kontrollieren kann. Vielleicht ist das ja lernbar.“
„Meinst du?“
„Es wäre möglich.“
Lorron war sich nicht so sicher. Aber im Augenblick wollte er sich von dieser Möglichkeit trösten lassen. „Gut. Erkundigen wir uns. Aber, Vater, lass mich nicht in vorderer Reihe stehen, wenn wir gegen Athelward angehen. Ich will nicht, daß Korhal mit seiner Häme auch noch Recht behält. Er mag Athelwards Fall sehen, aber nicht auch noch meinen. Lass mich meinetwegen ein Auge auf Ranulf haben. Und erinnere mich daran, die Waffe nicht mitzunehmen.“

aus den Ländern von Mittelerde und darüber hinaus